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1. Nationalsozialismus (Haffner, Churchill, Keegan)
Hitler
"Hitler ist der potentielle Selbstmörder par excellence. Er hat keine Bindungen außer an sein Ego, und wird dieses ausgelöscht, ist er alle Sorgen, jegliche Verantwortung und Bürde los. Er ist in der privilegierten Position eines Mannes, der nichts liebt außer sich selbst. Ihm ist das Schicksal von Staaten, Menschen und Gemeinwesen, deren Existenz er aufs Spiel setzt, völlig gleichgültig. Dieser Person sind Sorge und Verantwortung in einem Maß übertragen, dem er gar nicht gerecht werden kann. Hinter ihm liegt ein Inferno, das Milieu, und er weiß sehr wohl, zu welchem er normalerweise wirklich gehört. Was ihm bleibt, wenn er scheitert, ist sein sofortiger, schmerzloser Tod, dessen Zeitpunkt er selbst zu bestimmen vermag. Und da er Atheist ist, gibt es für ihn kein Jenseits. Also kann er alles wagen, um seine Macht zu erhalten oder zu vergrößern, jene Macht, der er seine jetzige Existenz verdankt und die allein zwischen ihm und dem raschen Tod liegt." [Haffner. Jekyll & Hyde. 24]
Gewalt
"Wir haben die einzig beständige Idee gesehen, die hinter Hitlers Politik steckt. Diese ist, mit einem Wort gesagt, Hitler. Wir haben aber seine Methode noch nicht unter die Lupe genommen [..] Sie heißt 'Gewalt'. [..] Die außerordentliche Wirkung seiner sehr primitiven Propaganda erklärt sich eher daraus, daß Hitler von Anfang an Propaganda, Überzeugen und Verhandeln eng mit Gewalt und Terror verknüpft hat. Gewalt, ständige, direkte, unverhüllte Anwendung nackter Gewalt, um jeder Behauptung und Forderung Nachdruck zu verleihen - das ist Hitlers Methode, mit der er steht oder fällt. Ihre Entdeckung ist weniger seinem Genie zu verdanken als seinem einst aus lauter Verzweiflung gefaßten Entschluß, unentwegt und skrupellos auf die Welt einzuwirken." [Haffner. Jekyll & Hyde. 26]
Macht
"Der Machthaber ist niemandem gegenüber verantwortlich, er ist respektabel und unangreifbar. Er besitzt in den Gremien, die er leitet, etwas, was die jüdische Legende einen Golem nennt, einen mechanischen Apparat, der die Tat ausführt, zu der seinem Schöpfer die Stärke und der Mut fehlen." [Haffner. Jekyll & Hyde. 27]
Führerschaft
"Hitler hat herausgefunden, daß Führerschaft zu einer fast automatischen Machterweiterung führt und die Gefolgsleute viel enger an den Führer bindet, da sie diese entwurzelt, zu ständigem Handeln zwingt und laufend mit unvorhergesehenen Situationen konfrontiert. [..] Die ständige Aktion, besonders die stündlichen Überraschungen und deren Folgen - die irritierende fortwährende Änderung der Lebensbedingungen, der Worte, der Feinde, der Ziele - lassen es nicht zu, daß sich das Gefühl der Unterdrückung, die Kritik und der Freiheitswille entwickeln, wie es in anderen statischen Regierungsverhältnissen geschieht. [..] Das deutsche Volk ist nicht versklavt, sondern wird durch aufdringliche Agitation dazu gezwungen, einer Räuberbande zu dienen, in der es das Leben eher soldatisch denn servil, als unvorhergesehen und nicht besonders erfreulich, aber flott und abenteuerlich empfindet; vor allem war es bis jetzt von ungeheuren Beutezügen gekrönt." [Haffner. Jekyll & Hyde. 28f ]
Massenmasochismus
"Es genügt hier zu sagen, daß der verständliche Wunsch nach Autorität und einer guten Regierung bei vielen Deutschen zur Anbetung der nackten, brutalen Gewalt geführt hat. Rohe Gewalt, die bar jeden Inhalts ist, übt einen immer stärkeren magischen Reiz auf die heutige [i.e. 1940] Generation der Deutschen aus. Ein schwüler, bedrückender Massenmasochismus ist weit verbreitet. Der 'starke Mann', die Regierung, die 'hart durchgreift', weckt ihre Begeisterung. Das ist die geistige Verfassung, die Hitler vorfand und förderte. Die Knebelung der Presse, die Abschaffung der Rede- und Meinungsfreiheit, die Gestapo, die Konzentrationslager - all das schüchtert die Menschen nicht nur ein. Zum Unterschied von den 'saloppen' und 'ängstlichen' Regeln der liberalen Demokratie verdreht es ihnen auch den Kopf" [Haffner. Jekyll & Hyde. 33]
Naziführer
"Jeder der rund 100.000 mehr oder weniger bekannten Nazioberen, die mit ihm zusammen die nationalsozialistische Führung bilden [..] ist als Person nichts anderes als ein gewöhnlicher Glücksritter und Karrierist, der mit mehr oder weniger fachlichen Qualifikationen und mehr oder weniger Skrupellosigkeit gesegnet ist. [..] Hitler allein entdeckte, wie man aus dem Nichts zur absoluten Macht aufsteigt und wie man diese Macht allem zum Trotz in einem beispiellosen Tempo erweitert. [..] Keiner von ihnen ist mehr als ein Finger von Hitlers Hand, [..] Keiner von ihnen ist für sich genommen eine politische Kraft oder gar ein politisches Potential von irgendwelcher Bedeutung, und sei sie noch so gering." [Haffner. Jekyll & Hyde. 43]
Erfolge
"Es stimmt auch, daß, wenn das Heer und die Luftwaffe aufgebaut sind, das Währungssystem unterminiert, die Industrie zerrüttet, das Volk unterernährt, das Schienennetz verschlissen und der Export ruiniert sein werden [..] Die Tüchtigkeit der Nazis täuscht. Was die Nazis gerade planen, wird in 'gigantischen', 'kolossalen', beispiellosen Dimensionen ausgeführt, und jedesmal stellt man fest, daß das, was errichtet wurde, zu groß geraten ist." [Haffner. Jekyll & Hyde. 52]
Terror
"Die Staatsfeinde einsperren? Das genügt bei weitem nicht. Hier werden sie gefoltert. Ein besseres Abschreckungsmittel gibt es nicht. Es wird nicht nur gegen Staatsfeinde angewandt. Nein, wir sperren jeden ein, der kein begeisterter erstklassiger Staatsbürger ist, und foltern ihn. Und wie beweist der erstklassige Staatsdiener, daß er einer ist? Er zeigt jeden an, der es nicht ist, und liefert ihn der Folter aus! Jeder Deutsche ein Polizeispitzel!" [Haffner. Jekyll & Hyde. 53]
Rücksichtslosigkeit
"Die Naziführer haben zu Deutschland genauso ein Verhältnis wie ein rücksichtsloser Rennpferdbesitzer zu seinem Pferd; er möchte das Rennen gewinnen, und sonst gar nichts. Zu diesem Zweck hat er es so hart wie möglich trainiert und es so rücksichtslos wie möglich geritten. Ob das Pferd seinen Wunsch nach Ruhm teilt und ein Rennpferd sein möchte, ob es zu Schaden kommt und danach sein Leben lang lahmt, sind Fragen, die ihn nicht interessieren." [Haffner. Jekyll & Hyde. 59]
Einmaligkeit
"Nie zuvor hat eine herrschende Schicht ein ganzes Land - seine Landschaft und seine Städte - so roh und gefühllos verunstaltet, [..] Noch nie hat eine herrschende Schicht so rücksichtslos ihre Landsleute kommandiert und so zynisch deren Wünsche, deren Bedürfnisse und deren Glück ignoriert. Noch nie haben Machthaber die Untertanen so barbarisch als bloße Nullen behandelt und gleichzeitig behauptet, sie würden sich für sie aufopfern" [Haffner. Jekyll & Hyde. 61]
Nazis
".. es können taktische Erwägungen, Entschlußlosigkeit, Furcht vor bevorstehenden schlechteren Zeiten oder ein schier unerträglicher Druck dazu führen, daß Menschen zu Verteidigern eines Regimes werden, das sie im Grunde ihres Herzens schon lange zum Teufel wünschen." [Haffner. Jekyll & Hyde. 65]
Verfolgungswahn
"Seit der Reichsgründung haben die Deutschen an Verfolgungswahn gelitten. Sie sind davon überzeugt, alle anderen Völker würden ihnen etwas wegnehmen wollen und nur darauf lauern, sie umzingeln und über sie herfallen zu können." [Haffner. Jekyll & Hyde. 139]
Widerstand
"Wer sich darüber wundert, daß die Revolution gegen die Nazis so lange auf sich warten läßt, der übersieht sehr oft die Tatsache, daß das Naziregime neue Möglichkeiten der Unterdrückung entdeckt hat, gegen die auch neue revolutionäre Methoden entwickelt werden müssen. Man kann sagen, das Naziregime ist ein hochentwickelter Mechanismus, der speziell dafür konstruiert ist, Revolutionen unmöglich zu machen. [..] Die Nazis hätten sich mit der Gestapo allein keine vier Wochen lang halten können - und ohne sie auch nicht länger. Die Gestapo ist nur die letzte Verteidigungslinie. Entscheidend für das Regime ist die Kombination von polizeilicher Unterdrückung, die bis ins Extrem getrieben ist, mit einigen verzerrten Elementen von Demokratie. Es ist falsch, den Nazistaat als reine Despotie anzusehen. Seine Macht besteht aus einer Mischung von Despotie und Anarchie. Metternich plus Turnvater Jahn; Geheimpolizei plus Demagogie; Terror plus Propaganda; Organisation plus vorgeschriebene Unordnung; nicht obligatorischer Gehorsam, sondern obligatorische Komplizenschaft; nicht obligatorische Loyalität, sondern obligatorische Begeisterung - dies ist das Gift, gegen das bis jetzt noch kein Gegengift gefunden worden ist." [Haffner. Jekyll & Hyde. 160]
Antisemitismus
"Der Hitlersche Antisemitismus ist osteuropäisches Gewächs. In Westeuropa und auch in Deutschland war Antisemitismus um die Jahrhundertwende im Abflauen, Assimilation und Integration der Juden erwünscht und in vollem Gange. Aber in Ost- und Südosteuropa, wo die zahlreichen Juden freiwillig oder unfreiwillig als abgesondertes Volk im Volke existierten, war (und ist?) der Antisemitismus endemisch und mörderisch, nicht auf Assimilation und Integration gerichtet, sondern auf Wegschaffen und Ausrotten." [Haffner. Anmerkungen zu Hitler. 15]
Massenmorde
"Hitlers Massenmorde wurden im Krieg begangen, aber sie waren keine Kriegshandlungen. Vielmehr kann man sagen, daß er den Krieg zum Vorwand nahm, Massenmorde zu begehen, die mit dem Krieg nichts zu tun hatten, die ihm aber immer schon ein persönliches Bedürfnis gewesen waren" [Haffner. Anmerkungen zu Hitler. 143]
Mein Kampf
"Die Hauptthese von Mein Kampf ist einfach. Der Mensch ist ein kämpfendes Tier; daher ist die Nation, also eine Gemeinschaft von Kämpfern, eine Kampfeinheit. Jeder lebende Organismus, der den Existenzkampf aufgibt, ist zum Erlöschen verurteilt. Eine Nation oder Rasse, die den Kampf einstellt, ist ebenso zum Untergang verurteilt. Die Kampffähigkeit einer Rasse hängt von deren Reinheit ab. Daher ist es nötig, sie von fremden Verunreinigungen zu säubern. Die jüdische Rasse muß infolge ihrer Universalität pazifistisch und kosmopolitisch sein. Der Pazifismus ist die größte Todsünde; denn er bedeutet die Kapitulation der Rasse im Existenzkampf." [Churchill. Der Zweite Weltkrieg. 42]
Einfluß des I. WK
"Wie alle Infanteriesoldaten hatte Hitler aus den Schützengräben Erinnerungen mitgebracht, zu denen in früheren Zeiten kaum jemand verdammt war: Erinnerungen an Leichen, die wie Holzscheite auf den Schlachtfeldern verstreut waren oder in Massengräbern aufgeschichtet beerdigt wurden. Das menschliche Bindeglied zwischen dem Holocaust des Ersten Weltkrieges und dem der Konzentrationslager muss jedem, der zur Betrachtung der augenscheinlichen Gewissheit fähig ist, unleugbar erscheinen; wie hätte man ohne die vorherige Konditionierung in den Schützengräben, wo Männer mit der physischen Tatsache der industrialisierten Tötung vertraut gemacht wurden, genug Personal zur Überwachung der Ausrottungsverfahren finden können?" [Keegan. Die Maske des Feldherrn. 445f]
Hitlers "Heldentum"
".. Hitlers Befehlshaberschaft war - was er selbst im Rückblick eingesehen haben mag - nur eine Farce falschen Heldentums gewesen. Sie war, wie er selbst in seinen machtvollen Tagen prahlte, auf die Idee des einsamen Leidens gegründet, darauf, dass er die Gefahren und Nöte seiner Soldaten in seinen Zufluchtsorten Rastenburg und Winniza verinnerlichte, auf die Gleichsetzung ihrer physischen Qual mit seinem psychischen Widerstand, auf die Ablösung von Mut durch Unverfrorenheit und letztlich auf das Ritual des Selbstmordes als Gegenstück zum Tod im Angesicht des Feindes. Wenige Selbstmorde sind heroisch, und der Hitlers gehört nicht dazu." [Keegan. Die Maske des Feldherrn. 447]
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