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1. Einleitung1.1. EinführungDas zwanzigste Jahrhundert sah neben erstaunlichen Errungenschaften in Technik und Kunst und Kultur, neben dem Erstarken und Wachsen der Demokratie auch wieder neue Formen der Unterdrückung und des Terrors und neue Kriege. Dabei wurde alles bisherige an Konsequenz, Dauer, Brutalität und Menschenverachtung übertroffen. Eines dieser Ereignisse, und vermutlich das extremste seiner Art, ist der Nationalsozialismus. Hitlers Staat schuf ein in seiner Effizienz erschreckendes System zur physischen und psychischen Vernichtung von Menschen, welches in seinen Ausmaßen keinem anderen gleicht und hoffentlich auch nie gleichen wird. Ein anderes solches Ereignis ist der Stalinismus. Zwar sind die Verbrechen der Stalin-Diktatur insgesamt nicht mit dem Holocaust Hitlers zu vergleichen. Aber die Menschenverachtung und neue Mechanismen der Unterdrückung und Propaganda lassen Stalin und sein System nicht als besser erscheinen. Im folgenden sollen beide Systeme miteinander verglichen werden. 1.2. Zur LiteraturDas Thema ist, was verfügbare Literatur betrifft, sehr ergiebig; genauso jedoch ist es sehr umstritten, sind die Meinungen sehr verschieden. Besonders, was den Stalinismus betrifft, haben politische Diskussionen der Gegenwart einen nicht unerheblichen Einfluß auf die Geschichtsdarstellung, was auch zu etwas erregteren Debatten führt. Besonders kontrovers und emotional sind die Diskussionen um das Schwarzbuch des Kommunismus[1] und Goldhagens Buch über den Holocaust[2]. Nicht weniger emotional sind auch die hier mit verwendeten Schriften von Historikern, die zugleich auch Zeitzeugen waren - Golo Mann und Sebastian Haffner. Auch finden sich in der Literaturliste Werke von Robert Conquest, bezüglich des Stalinismus ein Anhänger der Totalitarismusthese, als auch J. Arch Getty, der zu den Revisionisten zählt und versucht, soziologische Komponenten in die ansonsten personenlastige Diskussion einzubringen. 1.3. Durchführbarkeit und Kategorien eines solchen VergleichsVergleich heißt nicht absolute Gleichsetzung und kann es auch nicht heißen. Ein Vergleich sucht nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen zwei oder mehreren Optionen. Dazu allerdings bedarf es eines tertium comparationis, eines Maßstabs, welcher einen Vergleich erst ermöglicht. Demzufolge müssen also gemeinsame Elemente vorhanden sein, um die Durchführung eines solchen Vergleiches zu rechtfertigen. Auch der Vergleich zwischen Nationalsozialismus und Stalinismus ist an solche gemeinsamen Elemente gebunden; dies heißt aber nicht, daß diese Elemente oder Faktoren gleich stark ausgeprägt sein müssen. Zunächst einmal handelt es sich bei beiden um Begriffe, die jeweils für ein bestimmtes System stehen; historische Begriffe, die dennoch eine starke Wirkung auf die Nachwelt ausüben. Als Begriffe sind beide schwer zu fassen, denn Begriffe sind stets künstliche Konstruktionen[3], Modellvorstellungen einer Realität, die oft mehr das widerspiegeln, was wir von ihr verstehen, als das, was sie wohl wirklich ist. Gerade an diesen beiden Beispielen, die hier verglichen werden sollen, wird das besonders deutlich; werden besonders die verschiedenen Mechanismen und Ebenen der Täuschung, der Propaganda, der Lüge deutlich - echte und konstruierte Widersprüche. Auch heute sind derartige Mechanismen noch aktiv, wie sich an der Debatte um das Schwarzbuch des Kommunismus zeigt. Wissenschaft ist aber nur dann möglich, wenn eigene Ideologien und Vorurteile zurückgestellt werden, um alle Aspekte eingehend und unvoreingenommen zu beleuchten. Was die vorliegende Arbeit nicht leisten kann, ist diese Gründlichkeit - dies wird schon allein durch die Länge beschränkt. Aber sie will einen Einstieg geben in verschiedene Aspekte einer solchen Diskussion, eines solchen Vergleiches. Als Kategorien des Vergleiches sind einige Faktoren ausgewählt worden, die in beiden Systemen untersucht werden sollen. Dazu zählen die zentralen Personen, die Ideologie, Gewalt und Gewaltbereitschaft. Dabei werden die Systeme zunächst einzeln vorgestellt werden. Es sollen die Eigenarten beider Systeme betont werden; dadurch wird die moralische Aussage nicht entwertet, im Gegenteil, sie gewinnt an Substanz. |
2. Zum Nationalsozialismus2.1. HitlerHitler ist ein Mann, der nichts zu verlieren hat[4]. Den Staat hält er nur mit Mitteln der Gewalt aufrecht, seine Methode ist " Gewalt, ständige, direkte, unverhüllte Anwendung nackter Gewalt, um jeder Behauptung und Forderung Nachdruck zu verleihen[5]". Durch sein System der Führerschaft übt er seine Macht in allen Lebensbereichen aus:
Hitler ist die zentrale Figur des NS-Staates, der Führer, welcher auch die gesamte Nazibewegung unter sich vereint und auf sich hin zentriert hat. Treu dem römischen Vorbild, welches er in den Caesaren und in Mussolini zu sehen glaubt[7], ist er der Imperator, der Feldherr[8], der Vater des Vaterlandes, treu der Tradition des römischen Reiches auf deutschem Boden; allerdings nicht mehr als sacrum imperium, denn jede Religion könnte von der Verehrung des Mannes in der Mitte ablenken. Was die Brutalität seines Regierungsstils betrifft, so könnte dies auf seine Erfahrungen im ersten Weltkrieg zurückgehen. Dieser Krieg hatte den Charakter der Kriegsführung, das Verständnis davon, was Krieg bedeutet, und welchen Wert ein Menschenleben hat, radikal verändert[9]. Hitler unterschied, in direktem Bezug zu Clausewitz[10], nicht zwischen Krieg und Politik[11]; und auch sein Glaube an den Primat der Kriegerklasse und seine überzeugung, den Krieg mittels der Technik, nicht traditionell mit Truppenstärke, zu gewinnen, machten ihn zum bis dahin "most dangerous war leader ever to have afflicted civilization"[12]. 2.2. Terror und Genozid
Terror und Gewalt sind beim Nationalsozialismus nicht nur ein Unfall der Geschichte, eine unangenehme Begleiterscheinung - im Gegenteil: Darin liegt das Wesen dieser " Philosophie", deren erklärtes Ziel es ist, der " Herrenrasse" zum Sieg zu verhelfen. Diese Herrenrasse soll natürlich vor allem deshalb eine solche sein, weil sie den anderen von Natur aus als überlegen erklärt wird. Sie muß über die anderen herrschen, weil sie es kann. Folgerichtig kann ein solcher Sieg nur dann errungen werden, wenn die anderen Rassen ihre unterlegene Position akzeptieren; tun sie es nicht, ist Gewalt gerechtfertigt, handelt es sich doch lediglich um " minderwertiges" Leben, das " endgültig" zu entsorgen wäre. Eine solche Argumentation mag philosophisch und wissenschaftlich in keiner Weise nachvollziehbar sein; das ist aber auch nicht nötig gewesen, da sie zu Propagandazwecken verwendet wurde, und vor allem zur Rechtfertigung von Verbrechen unvorstellbaren Ausmaßes. Dazu ist es nicht nötig, ein wasserdichtes Alibi zu liefern, wenn man die Macht besitzt. Auch konnte sich der Nationalsozialismus keiner Illusion auf hundertprozentige Gefolgschaft hingeben; man bestach das Volk entweder mit ein wenig Macht und Geld, oder beruhigte es einfach mit den zurechtgezimmerten Lügen. In diesem Sinne wurde auch die Rassenphilosophie konstruiert; letztendlich gehörte zur Herrenrasse nur der, welcher das Regime unterstützte; der Rest wurde der Vernichtung preisgegeben, seien es nun Juden, Christen, Kommunisten, die Intelligenz oder einfach nur gewöhnliche Menschen, die Widerstand leisteten. Der zweite Weltkrieg schließlich kann sowohl als Ausübung dieses Prinzips verstanden werden, aber auch als die einzige Möglichkeit, das Regime aufrecht zu erhalten, gefördert durch einen gewissen Verfolgungswahn[14]. Diktaturen sind Gift für die industrielle, intellektuelle und künstlerische Entwicklung eines Landes; Hitler hat sich insofern nie der Illusion hingegeben, Deutschland wirklich als autarke, beständige Einheit anzusehen, zumindestens nicht in der Form, in der er es 1933 vorfand. Der Beginn des Krieges war die Bankrotterklärung der zivilen Industrie; Deutschland arbeitete seit Hitler nur noch für den Krieg; und unter Kriegsbedingungen ließ sich das am besten rechtfertigen. Außerdem paßt dies besser zur nazistischen Philosophie - die Herrenrasse ist natürlich eine Rasse von Kriegern, nicht von Zivilisten und Diplomaten[15].
Hitlers selbstmörderische Kriegsführung sowie seine letzten Momente befreien die Nachwelt von jedem weiterem Nachdenken über ein wie auch immer geartetes benevolentes Prinzip hinter seinen Aktionen, ganz einfach deshalb, weil es so etwas nie gegeben hat. Die Philosophie des Nationalsozialismus ist eine Ausrede, eine Rechtfertigung für die Ausübung unbeschränkter Gewalt und unbeschränkten Terrors, seine Gesetze autorisieren eine Gesetzlosigkeit, die es ermöglicht, Haß und Minderwertigkeitsgefühle der Mächtigen unbescholten an den Schwachen abzureagieren. Der Nationalsozialismus ist besiegt worden, seine Verbrechen und Motive aufgedeckt. Mit dem Stalinismus sieht es anders aus[17]. |
3. Zum Stalinismus3.1. StalinMit Sicherheit ist es falsch, zwei Personen gleichzusetzen. Doch wie im Nationalsozialismus Hitler, so nahm im Stalinismus Stalin eine besondere Stellung ein. Jedoch war der Nationalsozialismus von Beginn an auf die Person Hitlers zugeschnitten, während Stalin erst im Laufe seiner Karriere sämtliche Konkurrenten ausschaltete und das System mehr und mehr auf sich bezog. Stalin ist nur insofern mit Hitler zu vergleichen, daß beide einem diktatorisch-totalitären Regime vorstanden, und beide es verstanden, ihre Herrschaft absolut auszuüben. Dazu gehört auch eine gewisse Menschenverachtung und Grausamkeit:
Jedoch ist die Situation bei Stalin etwas komplizierter: Das Sowjetregime war in den Anfängen, d.h. in den zwanziger und dreißiger Jahren, bei weitem noch nicht so gefestigt, wie es später der Fall war, oder wie es in Nazideutschland war. Vieles geschah wohl eher mit Billigung Stalins als auf dessen direkte Order hin[19]. Damit soll Stalin nicht verharmlost werden, tat er schließlich auch wenig gegen terroristische Auswüchse des Systems[20].
3.2. RevolutionDer Sowjetstaat und seine Revolution, mit ihm Lenin und Stalin, bezogen sich auf die Schriften von Marx und Engels. Marx war Sozialkritiker, in seiner Zeit aktuelle Mißstände deutlich und brillant erkennend[22]. Doch bezieht er sich auf ein allzu simplifizierendes Gesellschaftsmodell, spricht von Klassen und Unterklassen als homogenen Gebilden, reduziert die Geschichte auf eine systematische, wissenschaftlich vorherbestimmbare Abfolge von Unterdrückungsmechanismen[23]. Das Idealbild einer klassenlosen Gesellschaft, auf das Marx hinzeigt, mag als Grundidee marxistischer Revolutionen gelten und gegolten haben. " Aber der Mißbrauch der Sache liegt in der Sache selbst"[24]:
Hier wird Gewalt verklärt als " revolutionär", als einem höheren Zweck dienend. Aber Gewalt kann keine Freiheit schaffen, Gewalt kann immer wieder nur abhängig machen von der Gewalt selbst: Revolutionäre Gewalt zerstört jegliche moralische überlegenheit und läßt die neuen Herren, bzw. die, welche es werden wollen, zurückfallen auf die Stufe derer, die überkommen werden sollen. Gewalt ist nicht revolutionär, sie ist, um mit der Sprache des Manifests zu sprechen, reaktionär. Wie kann eine neue Sklaverei, und sei sie auch nur für eine übergangszeit ausgelegt, eine alte ablösen[26]? "Seine Wissenschaft aber sollte die Moral überflüssig machen und sollte die Amoral rechtfertigen"[27].
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4. Vergleiche4.1. Totalitäre SystemeDas Totalitarismus-Modell ist nicht unbedingt falsch; es sei denn, es wird, wie in früheren Modellen üblich[29], direkt aus dem faschistischen Modell abgeleitet,- dann wäre es auf den Stalinismus nur schwer zu beziehen. Definiert man es aber anhand gemeinsamer Elemente beider Systeme, so ist es tragbar - und es ist auch sinnvoll, einen derartigen Vergleich zu ziehen; vor allem auch im Gegensatz zu anderen Staatensystemen.
Beide Systeme vereinen ein ungeheures und auch in unvorstellbarem Maße bewußt freigesetztes Potential an Gewalt. Sie sind totalitär, was den absoluten Machtanspruch angeht; den gnadenlosen Umgang mit ihren Gegnern; das Streben nach weltpolitischer Vormachtstellung; ihre Paranoia und ihren Verfolgungswahn, welche sich auch in innenpolitischem Terror äußern; ihre Geringschätzung des Lebens des Einzelnen; ihre Religionsfeindlichkeit und ihren Antisemitismus; ebenso ihren Militarismus und ihre Propaganda. Beide schaffen Bürokratien und industriell wirkende Mechanismen zur Kontrolle und Vernichtung von Menschenleben. Allerdings unterscheiden sich beide Systeme durchaus in der Art und Weise ihrer Einflußnahme auf die Bevölkerung, in der Art und Weise der Machtausübung. Das hervorstechende Merkmal des Nazismus ist zunächst der Genozid an der jüdischen Bevölkerung und an anderen Minderheiten; ebenso war das Naziregime von Anfang an auf militärische Aggression ausgerichtet. Beides wurde mit einer radikalen Rassenlehre begründet und mit Hilfe eines Führerprinzips vollstreckt. Stalinismus ist einerseits Willkürherrschaft und Personenkult[31], andererseits " die totale Diktatur der Parteiführung, die mit Hilfe der politischen Polizei bestimmte."[32] Dieser ist eine konsequente Weiterentwicklung des Leninschen Staates; beide beziehen sich auf Marx und können daher mit Berechtigung als kommunistische Systeme betrachtet werden. Der Kommunismus Leninscher und Stalinscher Prägung fußt auf dem Geschichtsbild eines ständigen Klassenkampfes, in dem das Proletariat im Zuge einer Weltrevolution alleinige Macht erlangen soll, die Diktatur des Proletariats. In einer solchen Philosophie sind die Entartungen des Stalinismus bereits enthalten - die Legitimation der Revolution und der Klassenkampf implizieren und explizieren Terror und Gewalt sowie auch rücksichtslose Unterdrückung und Ausschaltung der Gegner. Neben offiziellem Terror von oben kommt es quasi durch eine gewisse Eigendynamik des Systems auch zu lokal bedingten Repressalien, welche, wenn sie der Staatsmacht dienen, geduldet und ggf. gefördert werden. Hinter dem Deckmantel der Solidarität wird ein System von Satellitenstaaten aufgebaut, welche einerseits als militärischer Puffer und andererseits der Ausweitung des Machtbereiches dienen. Antisemitismus war in der Sowjetunion auch vorhanden, erreichte aber nicht die Dimension des Holocaust wie in Nazideutschland. Religionsfeidlich waren beide Systeme; stellt doch Religion stets eine Bedrohung eines Staates mit absolutem Herrschaftsanspruch dar. Quasi als Ersatz wurden Kinder- und Jugendorganisationen und vergleichbare Einrichtungen geschaffen, um das Volk an den Staat zu binden und die staatliche Doktrin zu vermitteln. 4.2. Gewalt als Mittel der Politik
Gewalt ist in beiden Systemen Teil der Herrschaftsphilosophie. Im Nationalsozialismus wird sie erklärt durch einen konstruierten Kampf um rassische Vormachtstellung, im Kommunismus durch den Klassenkampf. Nun gibt es, gerade durch die jetzige Situation in Kosovo, Diskussionen um die Vergleichbarkeit beider Phänomene, um den Unterschied zwischen Gewaltlegitimation durch Rassen- oder Klassenargumentation. Man könne im Falle des Stalinismus, Chinas oder jetzt Milosevics nicht vom Genozid sprechen. Das mag richtig sein, aber es handelt sich hierbei eher um eine linguistische Spitzfindigkeit. Ordozid oder Genozid; in beiden Fällen gibt es keine Legitimation, nur eine Justifikation. Aber derartige Rechtfertigungen sind künstliche Konstruktionen, sind Mittel der Propaganda. Um eigene Zwecke und Ziele zu erreichen, meistens Macht, werden Kriterien geschaffen, die Gewalt schönreden oder glorifizieren sollen. Aber durch die Anwendung von Gewalt kann ein selbst noch so gut gemeintes Ziel, das man dem Kommunismus unterstellen könnte, nicht erreicht werden, es diskreditiert sich selbst durch die gewählten Mittel.
Beide Systeme entwickeln ihr eigenes Menschenbild, verschieden voneinander und verschieden auch von den eigentlichen Bedürfnissen des Menschen. Ob nun die Menschen nach Klassen oder Rassen eingeteilt werden,- diese künstlich hervorgehobenen Unterscheidungen werden durch das System jeweils verstärkt, die einzelnen Gruppen untereinander ausgespielt. Die beschworene Harmonie am Ziel des Weges soll durch Entfernung und Ausschaltung der jeweils unerwünschten Mitglieder erfolgen, sei es durch Umsiedlung oder Mord. Der einzelne Mensch, das Individuum, ist dem System egal, er wird egalisiert und soll durch die Organe des totalitären Staates gleichgeschaltet werden. Staatliche Einflußnahme und Druck auf die Wirtschaft, im Kommunismus ungleich stärker als im Nationalsozialismus, sind ebenso die Folge. Der Verlust der Individualität und damit das Ausschalten jeglicher ernsthaften Opposition zugunsten eines imaginären Ganzen nutzt nicht dem Einzelnen, sondern nur noch denen, die die Kontrolle ausüben.
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5. Schlußbemerkungen5.1. Grenzen und Aussagen des VergleichsDer Vergleich zwischen Nationalsozialismus und Stalinismus ist nicht abgeschlossen und kann es auch nicht werden. Dazu sind die Auswirkungen beider Epochen noch zu sehr verflochten mit der Gegenwart, sind auch zu viele einzelne Aspekte vorhanden, anhand derer man weitere Untersuchungen führen könnte. Ein solcher Vergleich wird schon allein durch die Größe und Offenheit des Diskurses beschränkt, wenn nicht sogar in seiner Gesamtheit unmöglich gemacht. Es kann in diesem Vergleich nicht darum gehen, verschiedenen Systemen anonyme Statistiken zur Grundlage eines Vergleiches zu geben, es kann nicht darum gehen, die Anzahl der Toten aufzurechnen. Es kann auch nicht darum gehen, vollständig die einzelnen Aspekte der Philosophie eines jeden Systems zu verstehen, dazu sind zu viele Lügen, zu viele Euphemismen, zu viele Widersprüche darin enthalten. Aber vielleicht ist diese Widersprüchlichkeit auch der Kern dieser Systeme - und auch letztendlich der Grund für ihr Scheitern. Ein solcher Vergleich ist dennoch notwendig, um die Prinzipien zu erkennen, nach denen durchaus ehrbare Motive oder Kritik an Bestehendem verraten werden durch neue Ungerechtigkeiten und Greueltaten, die die alten bei weitem übertreffen. 5.2. RelativierungenDer Schwerpunkt dieser Arbeit lag im wesentlichen auf den menschenverachtenden Aspekten beider Systeme, ohne gleichzeitig auch Positives anführen zu wollen. Beim Nationalsozialismus dürfte dies schließlich auch sehr schwer fallen, auch sind sich in diesem Falle wohl sämtliche Kritiker einig. Beim Stalinismus, oder Kommunismus, denn der Begriff des Stalinismus ist schließlich auch nur eine Hilfskonstruktion, sieht es nicht ganz so einfach aus. Der Nationalsozialismus Hitlers unterscheidet sich allerdings auch von anderen faschistischen Systemen, wie von denen Francos und Mussolinis; vor allem unterscheidet er sich durch seinen Vernichtungs- und Zerstörungswahn und seine ungebremste Aggressivität. Eine Normalisierung gab es nicht, vor allem deshalb, weil stets Kriegszustand herrschte: Von 1933-1939 fand sozusagen die nazistische Revolution statt, wenn man damit ein Zurückdrehen des mehr oder weniger demokratischen Weimarer Systems und des Versailler Vertrages bezeichnen mag. Und im Zweiten Weltkrieg konnte von Normalisierung auch keine Spur sein. Wie sich das Dritte Reich nach einem eventuellen Sieg entwickelt hätte[36], bleibt Spekulation und kann nicht als Maßstab dienen. Beim sowjetischen Kommunismus jedoch setzte nach Säuberungen und zweitem Weltkrieg eine gewisse Normalisierung ein; allerdings meint das vielleicht vielmehr eine Art von Routine, Routine im Umgang mit der Verletzung und Nichtachtung von Menschenrechten wie Meinungsfreiheit oder Versammlungsfreiheit, oder auch das Recht auf Leben. Auch ist nicht zu bestreiten, daß die Sowjetunion auf wissenschaftlichem, schulischem und künstlerischem Gebiet herausragende Leistungen vollbracht hatte,- aber können diese Leistungen den eigentlichen Charakter des Systems überdecken? Oder gar ihren eigentlichen Zweck verschleiern? Es soll auch nicht gesagt sein, daß nicht in einzelnen Aspekten der kommunistischen Schriften echte Sozialkritik und Anklage von akuten und chronischen Mißständen des vor-revolutionären Systems enthalten sei[37], aber das rechtfertigt nicht eine unkritische Anwendung von Gewalt, von Terror in bisher ungekanntem Ausmaß. Im kalten Krieg war die Wissenschaft vorwiegend eine Rüstungsindustrie, die Kunst Mittel zur Propaganda, die schulische Erziehung Teil der kommunistischen Doktrin vom neuen Menschen[38] - das System diente nicht dem Menschen, sondern einer fragwürdigen Vision eines imaginären Menschen. Das System hatte kein wirkliches Interesse an den Menschen, sonst hätte es keiner diktatorischen Maßnahmen bedurft. Die Vorstellung, die Geschichte wissenschaftlich zu bestimmen, verbunden mit einem Klassenmodell, das nur zusätzlichen Unmut schüren mußte, angetrieben durch eine explizite, revolutionsbezogene Gewaltakzeptanz und -verherrlichung, getarnt als philanthropisches Experiment; dies war der Rahmen, in dem die Menschen versuchen mußten, zu überleben: Zwischen fortdauernder Revolution und latentem oder offenem Terror.
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6. Anhang6.1. Auswahlbibliographie
6.2. Quellen im Internet
6.3. Endnoten[1] als Entgegnung dazu: Jens Mecklenburg, Wolfgang Wippermann, Hgr. " Roter Holocaust"? Kritik des Schwarzbuchs des Kommunismus Hamburg: Konkret 1998
[2] Daniel Jonah Goldhagen. Hitler's Willing Executioners. Ordinary Germans and the Holocaust. Knopf: NY 1996
[3] Derrida 422
[4] Haffner. Jekyll and Hyde. 24
[5] Haffner. Jekyll and Hyde. 26
[6] Haffner. Jekyll and Hyde. 28f
[7] Keegan. A History of Warfare 367
[8] " .. Hitlers Befehlshaberschaft war - was er selbst im Rückblick eingesehen haben mag - nur eine Farce falschen Heldentums gewesen. Sie war, wie er selbst in seinen machtvollen Tagen prahlte, auf die Idee des einsamen Leidens gegründet, darauf, dass er die Gefahren und Nöte seiner Soldaten in seinen Zufluchtsorten Rastenburg und Winniza verinnerlichte, auf die Gleichsetzung ihrer physischen Qual mit seinem psychischen Widerstand, auf die Ablösung von Mut durch Unverfrorenheit und letztlich auf das Ritual des Selbstmordes als Gegenstück zum Tod im Angesicht des Feindes. Wenige Selbstmorde sind heroisch, und der Hitlers gehört nicht dazu". Keegan. Die Maske des Feldherrn. 447
[9] " Wie alle Infanteriesoldaten hatte Hitler aus den Schützengräben Erinnerungen mitgebracht, zu denen in früheren Zeitren kaum jemand verdammt war: Erinnerungen an Leichen, die wie Holzscheite auf den Schlachtfeldern verstreut waren oder in Massengräbern aufgeschichtet beerdigt wurden. Das menschliche Bindeglied zwischen dem Holocaust des Ersten Weltkrieges und dem der Konzentrationslager muss jedem, der zur Betrachtung der augenscheinlichen Gewissheit fähig ist, unleugbar erscheinen; wie hätte man ohne die vorherige Konditionierung in den Schützengräben, wo Männer mit der physischen Tatsache der industrialisierten Tötung vertraut gemacht wurden, genug Personal zur überwachung der Ausrottungsverfahren finden können?" Keegan. Die Maske des Feldherrn. 445f
[10] Clausewitz 44
[11] Keegan. A History of Warfare 372
[12] Keegan. A History of Warfare 371f
[13] Haffner. Jekyll & Hyde. 53
[14] Haffner. Jekyll & Hyde. 139
[15] " Die Hauptthese von Mein Kampf
ist einfach. Der Mensch ist ein kämpfendes Tier; daher ist die Nation, also eine Gemeinschaft von Kämpfern, eine Kampfeinheit. Jeder lebende
Organismus, der den Existenzkampf aufgibt, ist zum Erlöschen verurteilt. Eine Nation oder Rasse, die den Kampf einstellt, ist ebenso zum Untergang verurteilt. Die Kampffähigkeit einer Rasse hängt von deren Reinheit ab. Daher ist es nötig, sie von fremden Verunreinigungen zu säubern. Die jüdische Rasse muß infolge ihrer Universalität pazifistisch und kosmopolitisch sein. Der Pazifismus ist die größte Todsünde; denn er bedeutet die Kapitulation der Rasse im Existenzkampf." Churchill. Der Zweite Weltkrieg. 42
[16] Haffner. Jekyll & Hyde. 59
[17] Schwarzbuch 15
[18] Conquest. Stalin. 399f
[19] Getty. Origins of the Great Purges. 27 und 198
[20] Getty. Origins of the Great Purges. 206
[21] Getty. Stalinist Terror. 62
[22] Golo Mann. Zeiten und Figuren. 25f
[23] The Communist Manifesto. Teil I
[24] Golo Mann. Zeiten und Figuren. 28f
[25] The Communist Manifesto. Teil II
[26] Weber. Terror. 3
[27] Golo Mann. Zeiten und Figuren. 27
[28] Golo Mann. Zeiten und Figuren. 28f
[29] Koenen. Utopie der Säuberungen. 26f
[30] Koenen. Utopie der Säuberungen. 26f
[31] Weber. Terror. 3
[32] Weber. Terror. 4
[33] The Communist Manifesto. Teil I
[34] Thoreau. Resistance to Civil Government. 778
[35] Thoreau. Resistance to Civil Government. 788
[36] vgl. Robert Harris. Fatherland. NY : Random House 1992. / verfilmt 1994
[37] Golo Mann. Zeiten und Figuren. 27
[38] Conquest. Stalin. 403f
[39] Koenen. Utopie der Säuberungen. 271
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