versuche ueber politik

# 3 :   Perfides Spiel ueber die Rechte Bande - die FDP, Möllemann und Karsli

Zum ersten Mal seit 1945 konnte ein Politiker einer demokratischen Partei sich antisemitisch äußern, ohne irgendwelche Folgen vergegenwärtigen zu müssen. Er wurde nicht aus der Partei ausgeschlossen, er wurde nicht einmal seiner Ämter enthoben, nein, er bekam lediglich einen Maulkorb verpaßt,
als die Partei wahrnehmen mußte, daß die Wähler vielleicht ein klein wenig intelligenter sind,
als von ihnen eingeschätzt.

War da was? Wozu all die aufregung, es ist doch nichts passiert - es sind nur ein paar worte gewechselt worden, und ueberhaupt, manches musste einfach einmal gesagt werden. Und politik kann es halt nicht allen recht machen, so ist das nunmal, man muss auch einfach einmal Israel kritisieren duerfen fuer eine politik, die falsch ist.

Im prinzip ja, aber. Kritik an der Israelischen besatzungspolitik ist angemessen, berechtigt, und vor allem furchtbar noetig. Kritik ja, aber nur im kontext bitte schoen. Es kann keinen zweifel daran geben, dass Sharons politik der zero tolerance und des containment ins leere greift und vor allem auch unschuldige trifft. Israels fortlaufende kolonisierungspolitik auf Palaestinensischem territorium ist falsch, und unhaltbar, sie ist eines der hindernisse im sogenannten friedensprozess. Es bleiben aber dennoch einige dinge zu bedenken.

Arafat ist genauso ein hindernis fuer die verstaendigung wie die israelische politik. Man darf aber nicht ursache und wirkung vergessen. Die fortlaufende okkupation Palaestinensischen territoriums ist falsch, sie entspringt aber dem kontext des Sechs-Tage-Kriegs. Israel ist von der Arabischen welt bedroht worden und hat sich praeemptiv verteidigt, die besatzung ist ein relikt dieser geschichte; die derart radikale und kompromisslose verteidigung ist allerdings das resultat eines tiefliegenden nationalen traumas, die reaktion auf jahrtausende der diskriminierung, der vorurteile; und vor allem, eine reaktion auf den von Deutschen durchgefuehrten Holocaust.

Es ist richtig, dass Deutschland die vergangenheit historisch einordnen muss, das heutige Deutschland ist ein anderes als das damalige, und die heutigen generationen sind nicht fuer die damaligen verbrechen verantwortlich, und duerfen auch nicht dafuer verantwortlich gemacht werden. Staaten allein sind rechtsnachfolger und erben historischer schuld, nicht aber individuen; die schuld der vaeter und muetter uebertraegt sich nicht auf die kinder. Historisierung bedeutet nicht schlussstrich, sie bedeutet auch nicht verharmlosung, sie bedeutet die wertung der ereignisse im angemessenen kontext.

Es gibt allerdings ausnahmen. Israel ist eine solche ausnahme. Israelische politik zu kritisieren darf kein tabu sein, und ist es auch nicht - die kritik muss aber den historischen rahmen wuerdigen, sowie die sensibilitaeten des Juedischen volkes. Kritik an Israel muss kritik sein zum wohle von Israel, nicht, um unterschwelligen hass zu legitimisieren.

Jürgen W. Möllemann ist mit gewisser sicherheit kein antisemit. Er ist jedoch zutiefst unsensibel in allem was er sagt. Das ist sein image, ein sorgfaeltig gepflegter eindruck, der ihm gute wahlergebnisse garantiert. Political correctness ist langweilig, populismus immer gut fuer die menschenfischerei. Jede derartigen verbalen erguesse Möllemanns allerdings sind bisher auf sofortige kritik aus der parteifuehrung gestossen, sobald sie das mass des ertraeglichen ueberschritten hatten. Nicht diesmal. Westerwelle liess sich verhaeltnismaessig viel zeit. Berechtigterweise?

Was ist der kern der affaere? Möllemann hat Israel fuer die besatzungspolitik kritisiert. OK. Er hat den Palaestinensern ein recht auf verteidigung eingeraeumt. OK, bedarf aber der praezisierung. Er hat bewaffnete aktionen auch ausserhalb des eigenen landes und somit die (selbst)mordattentate als gegebenenfalls legitimen akt selbstverteidigung eingeraeumt. Das ist nicht nur zuviel, es ist unverantwortlich. Diese botschaft, wie indirekt er sie auch formuliert haben mag, ist nicht nur in sich unakzeptabel, da sich selbstmordattentate meistens gegen unbeteiligte zivilisten richten, nicht gegen die Israelische politik an sich, und (nichtstaatliche, undemokratische, undifferenzierte) gewalt nicht nur kein mittel der politik sein darf, sondern auch nicht funktioniert, und nicht funktionieren darf. Bis gestern haette man meinen koennen, Möllemann haette einfach wieder einmal nicht nachgedacht bei dem, was er gesagt hat, das waere ja nicht wirklich etwas neues. In diesem fall waere es allerdings ein fataler fall von dummheit, aber diese apologetische und noch gutmeinende interpretation ist wohl heute vom tisch. Satz 1 des vorigen absatzes kann heute nicht mehr unbezweifelt dastehen.

Möllemann hat einen herrn Karsli in seine FDP-fraktion holen wollen, jemanden, welcher keine gelegenheit auslaesst, den destruktiven einfluss einer "zionistischen lobby" anzumahnen, und nebenbei Israel "Nazimethoden" bei der okkupation zu unterstellen. Letzteres ist nur polemisch, allerdings zutiefst geschmacklos, ersteres allerdings ohne zweifel antisemitisch, Karsli wiederholt nicht nur rein zufaellig nazistische sprueche, die direkt aus dem "Völkischen Beobachter" stammen koennten, sondern benutzt sie bewusst, und Möllemann duldet das nicht nur sondern foerdert es. Selbst in seinem "ruecktrittsbrief" haelt Karsli die rechtsextremen verschwoerungstheorien aufrecht, adds insult to injury, seinem vorbild Jürgen W. Möllemann folgend.

Jener unterdessen bezichtigt Michel Friedman, durch seine "gehaessige art" antisemitische vorurteile zu schueren. Wie bitte? Zugegeben, Friedman ist kein sehr angenehmer und ruecksichtsvoller zeitgenosse. Martin E. Süskind kommentiert dessen stil im heutigen Tagesspiegel mit den worten, "Ich bin nicht für Hinrichtungen. Auch nicht in Talkshows" (S. 3). Nun muss man mit politikern bei Friedman nur ein bedingtes mitleid haben, dient sein bewusst aggressiver stil doch der dekonstruktion der falschen und oft spruchblasenerfahrenen authoritaet der talk-gaeste. Friedman konfrontiert, ist unangenehm, das ist die masche seiner show, anders als die anderer talkshows, welch eher politikerschutzgebieten aehneln. Dies ist allerdings persoenlicher stil. Jeder geht freiwillig zu Friedman. Ein politiker allerdings, der sich ueber Friedman aufregt, liefert eine ziemlich durchschaubare rhetorik, die man als verletzten stolz abtun koennte, wenn die bemerkung(en) doch nicht so unertraeglich waere.

Antisemitismus ist ein vorurteil, findet vor und jenseits jeglicher urteilsbildung statt. Vorurteile brauchen keine faktische basis, und besitzen sie zumeist auch nicht, im gegenteil, sie biegen sich ihre eigene kleine welt nach selektierten pseudo-"fakten" zurecht. Die Juden waren ueber jahrhunderte der suendenbock fuer alles, was in der "christlichen" gesellschaft nicht funktioniert hatte. Suendenbocke sind aber immer unschuldig bezueglich der ihnen auferlegten vergehen, sie tragen die schuld der anderen; dieses motiv praegt auch die Christusgeschichte, allerdings scheint es in den "christlichen" gesellschaften in vergessenheit geraten zu sein, und das vorurteil wurde immer wieder rhetorisch und auch gewaltsam bestaetigt. Das vorurteil ist die reflektion der schwaechen einer gesellschaft, welche das "andere" konstruiert um das "eigene" zu definieren. Auf diese weise wird ganz bequem der eigene wert hoehergesetzt, waehrend das "andere" als qualitativ und menschlich minderwertiger verstanden wird. Antisemitismus resultiert nicht aus profunder beobachtung des Judentums, er ist einer der daemonen, die von einer selbstgerechten dogmatischen gesellschaft geschaffen wurden. Das verhalten einzelner personen fuer Antisemitismus veranwortlich zu machen ist perfide und faellt wieder in den alten stereotyp, die Juden seien fuer den Antisemitismus selbst verantwortlich.

Heute nun lobt Möllemann ausgerechnet im ehemaligen SED-organ Neues Deutschland die vorausschauende politik eines verstorbenen Wim Fortuyn und eines Jörg Haider. Ausserdem steigen die wahlprognosen der FDP um 3 prozentpunkte auf 12 prozent, nur 6 punkte von der angestrebten 18 entfernt. The fortunate favors the brave?

Rechnen wir alles zusammen. Möllemann verteidigt gewalt gegen Israel (ohne auf die problematik Arafat einzugehen). Er propagiert die parteiaufnahme Karslis, welcher sich durch eindeutigen antisemitischen aeusserungen profiliert hatte. Karsli kann nicht in der FDP bleiben, was Westerwelle als eigenen Erfolg verkaufen will; Möllemann will ihn aber parteilos in der fraktion beschaeftigen. Auf kritik des Zentralrats der Juden in Deutschland kontert Möllemann mit antisemitischen tiraden. Am selben tag, als Westerwelle sich in Israel eben jene vorgaenge vorhalten lassen muss, biedert sich Möllemann an Haider an. Möllemann kann tun und lassen was er will, Westerwelle hat ihn bis jetzt noch nicht effektiv gestoppt. Seinem prozentziel 18 ist er allerdings naeher gekommen.

Wer hier noch eine zufaellige anhaeufung von Möllemannisms sehen will, muss blind sein. Die FDP-fuehrung sucht bewusst nach stimmen aus dem rechtsextremen lager (was Westerwelle sogar zugegeben hat), und bedient dazu latente Antisemitische vorurteile. Hier bewegt sich etwas: Die FDP bewegt sich bewusst in richtung FPÖ, um stimmen zu fangen, und hat dabei sowohl die demokratische nachkriegsordnung als auch den moralischen konsens verlassen. Glaubwuerdigkeit kann es nur mit dem ruecktritt Westerwelles und dem parteiausschluss Möllemanns und dem von Claudia Roth gegen ihn betriebenen verfahren wegen volksverhetzung geben. Geschieht das nicht, gibt es ein problem in der Deutschen parteienlandschaft: Die FDP ist unwaehlbar geworden, sie hat begonnen, "freiheit" als freiheit von anstand und moral zu definieren. Wozu braucht man da noch die DVU?

Blind die, welche hier nur eine verschwoerung der medien sehen. Das problem liegt bei der FDP selbst und ihren beiden vorsitzenden, die offenbar verlernt haben, was demokratie bedeutet, und dass nicht jede stimme gleich viel wert ist.



27. Mai 2002

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