versuche ueber politik

# 4 :   Ende des Grausamen Spiels?

Denn, um mit wenigen Worten die Wahrheit zu sagen: wer immer seit jener Zeit politisch agitierte, schützte ehrenvolle Parolen vor. Die einen taten, als verteidigten sie die Rechte des Volkes,
andere, als wollten sie die Autorität des Senats wahren.
Indem sie das Allgemeinwohl vorschützten, kämpften sie alle nur für die eigene Macht

- Sallust. Coniuratio Catilinae. 38,3

War da was? Die sogenannte machtprobe ist beendet, Jamal Karsli hat ploetzlich aus innerer eingebung die fraktion verlassen, Möllemann sich bei allen Juden in Deutschland entschuldigt (mit der expliziten ausnahme von Michel Friedman), und Westerwelle meint, perfide sei der, welcher die in den letzten wochen kursierenden anschuldigungen noch aufrechterhielte. Spiel, satz, sieg Westerwelle und FDP?

Mitnichten. Wenn eines klar geworden ist, dann dass Guido Westerwelle in der FDP gegen einen Jürgen W. Möllemann keine echte durchsetzungsmacht hat. Sicher, Möllemann hat einen rueckzieher gemacht. Er hat sich allerdings nur allgemein entschuldigt, er hat nichts wirklich zurueckgenommen, und es wurden auch keine personellen konsequenzen gezogen. Möllemann stilisierte sich in den letzten tagen sogar als opfer des Jüdischen Zentralrats, wollte nicht "vor Friedman kriechen", und nahm damit das unsaegliche zitat der "zionistischen lobby" wieder auf.

Diejenigen, die augen haben, haben gesehen, und diejenigen, die ohren haben, haben gehoert, was zu sehen und hoeren die FDP-spitze anbot: Kommet alle zur FDP, die ihr von den "etablierten" parteien verlassen wurdet, seid ihr nun demokraten oder antisemiten: wir lieben euch doch alle. Das rechtsextreme lager hat verstanden: Antisemitismus ist moeglich, wenn man ihn in verbindung mit einer ungeliebten person, sei es Sharon oder Friedman, bringt. Antijuedische ressentiments koennen in uralte stereotypen, wie den von der "juedischen weltverschwoerung" (denn nichts anderes steckt hinter der "zionistischen lobby", die angeblich alles kontrolliert), eingekleidet werden. Zum sprachrohr mache man jemanden, der als populist bekannt ist; man baue auf bekannte rezepte und erwaehne bekannte rechtsextreme wie Haider und den verstorbenen Fortuyn, und fertig ist die neue waehlerschaft: Die FDP macht den rechten schmutzrand unnoetig, weil sie selber deren argumentationen aufnehmen kann, denn man ist ja liberal und tolerant. Fern von jeder ideologie kann man doch mal sehen, ob nicht irgendwelche meinungen neu ueberdacht werden sollten. Oder so aehnlich.

Möllemann ist immer noch mitglied der partei. Er bleibt vorsitzender des landesverbands Nordrhein-Westfalen. Er bleibt stellvertretender vorsitzender der partei. Und agiert weiterhin in der Deutsch-Arabischen Gesellschaft, deren web site in den letzten tagen mit gewaltdrohungen gegen US-botschaften geglaenzt hatte. Was schadet ihm (oder nuetzt der FDP) da ein kleiner rueckzieher? Wozu einen Pyrrhos-sieg erringen, wenn man doch schon alles gesagt hat, was man sagen wollte? Möllemann hat sich nicht zurueckgezogen, noch hat er sich wirklich entschuldigt. Lippenbekenntnisse koennen keine bewusst antisemitische propaganda entschuldigen. Das waren keine ausrutscher, das war perfekt choreographiert, mit oder ohne Westerwelle; dessen schwaeche jedenfalls hat es moeglich gemacht. Wer ist Westerwelle denn jetzt noch? Ein vorsitzender auf abruf, der weichspueler fuer Möllemann, sowie dessen weisswascher: Westerwelle ist die weisse weste, mit der sich Möllemann kleiden kann, Möllemann ist der bluthund, mit dem Westerwelle stimmen fangen kann; ob das Westerwelles intention ist oder nicht, ist hierbei egal: Die konstellation bleibt, und ist nicht infrage gestellt worden. Möllemann macht eine artige verneigung in richtung des princeps der partei, bleibt aber der tribunus plebis, und kann bleiben. Schlimmer geht es nicht.



6./8. Juni 2002

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