versuche ueber politik# 7 : ein nachwort zu MöllemannWir alle hatten mit spannung erwartet, auf welche art und weise Jürgen W. Möllemann wieder in die politik zurueckkehren wuerde, mit oder ohne gruendung einer neuen partei. Der aussaetzige, dem nur noch sein Bundestagsmandat geblieben war, allerdings mittlerweile ohne parteizugehoerigkeit, erhielt einen separaten sitzplatz ganz hinten im parlament. Das ganze war irgendwie seltsam und entbehrte nicht einer gewissen komik und auch schadenfreude. Jemanden derart hoch aufsteigen zu sehen, und dann ein derart tiefer politischer fall - lebte Shakespeare heute noch, so schriebe er sicherlich schon an seinem Möllemann. Als die nachricht von Möllemanns tod kam, wirkte das mehr als unwirklich, und es war in der tat ein echter schock. Bei allen differenzen, aller kritik, politik ohne Möllemann, das konnte doch nicht wahr sein; und ueber die konsequenzen fuer seine familie will ich gar nicht erst beginnen zu reden. Dazu kommt die art seines todes, ein fallschirmsprung, bei dem zunaechst der hauptschirm abgeworfen wurde und sich die reserve nicht oeffnete. Ein fehler, der eigentlich nicht vorkommen sollte, und dazu noch bei ihm, der darin sehr erfahren war; sollte sich nicht noch anderes beweismaterial finden, ist ein selbstmord die einzige verbleibende erklaerung. In ihrer traueranzeige klagt die verwitwete ehefrau die FDP-fuehrung gleichsam an, sie haetten ihn in den tod getrieben, bei allen seinen verdiensten sowohl fuer die partei als auch fuer deutschland. Nun waere es im hoechsten male unsensibel, die kritik eines trauernden menschen zum ziel einer gegenkritik zu machen. Sie ist allerdings nicht die einzige, es gibt andere stimmen, wie die von herrn Kubicki und anderen, welche zwar nicht derart direkt, jedoch deutlich genug ihren unmut gegenueber dem Möllemann zugefuegten unrecht ausdruecken, und mit dem finger in die richtung der politik in der partei und im lande zeigen. Unrecht? Was passiert hier? Was sollen die (gluecklicherweise langsam erlahmenden, aber dennoch existierenden) diskussionen ueber einen staatsakt fuer Möllemann? Soll es mit seinem Tod nicht mehr moeglich sein, die vorher existierende kritik aufrechtzuhalten? Soll aus vermeintlicher pietas vor dem toten sein leben verklaert und kritik unmoeglich gemacht werden? Es stimmt schon, als ehemaliger Wirtschaftsministe und Vizekanzler hat Möllemann sicher so einige verdienstvolle leistungen vollbracht. Es zaehlt aber das gesamtbild, und dazu zaehlen auch das politische ende, und die gruende dafuer. Es ist dies die unsaegliche diskussion des letzten jahres; wobei allerdings weniger die diskussion unsaeglich war, sondern die aussagen und das handeln (bzw. nicht-handeln) der herren Möllemann und Westerwelle. Als gipfel der debatte gab es das gelbe flugblatt Möllemanns, welches Ariel Sharons politik an den pranger stellt, und Michel Friedmann (den sich Möllemann zuvor als intimfeind mittels unsaeglicher seitenhiebe aus der anti-Semitischen mottenkiste hochgezuechtet hatte) damit in verbindung stellt. Schon allein die abartig euphemistische bezeichnung "Israel-kritisch", die sich in bezug auf dieses machwerk heute in den medien finden laesst, zeugt von einer zoegernd-unglaeubig-verleugnenden einstellung dem gesamten prozess gegenueber; das blatt kann man nicht als kritisierend bezeichnen, schon allein deshalb, weil in keinster weise irgendeine form der politisch-historischen ursachenforschung betrieben wurde, was man vielleicht in einem wahlkampfflyer heutzutage nicht unbedingt erwarten kann. Wahlkampf allerdings sollte sich mit den momentan im lande relevanten themen beschaeftigen, und weder Ariel Sharon noch Michel Friedmann waren in irgendeiner weise kern der damaligen sachpolitischen wahlentscheidung, das thema wurde kuenstlich von Möllemann hochgeputscht, um eine moeglichst grosse positive wirkung fuer sein zutiefst narzisstisches "Projekt 18" zu erreichen; weder hat Michel Friedmann irgend etwas mit der politik Ariel Sharons zu tun, noch kann man Israelische politik ohne eine begutachtung der taktiken und ziele der gegenposition begutachten (die sich bei dem terroristen Arafat und gruppen wie der Hamas nach wie vor auf die endgueltige vernichtung Israels beschraenkt, und welche auch demgemaess handeln, man bedenke, die heutige Intifada wurde ausgerufen, noch ehe Sharon irgend etwas getan hatte); somit kann das flugblatt als einzige qualifizierende bezeichnung nur die des anti-Semitismus, und zwar in seiner perfidesten form, verdienen. Möllemann mag ja in der tat gemeint haben, damit seiner partei zu dienen; doch das hat er nicht, er hat nur sich selbst gedient, und nicht nur mit dieser kampagne seine eigenen machtinteressen ueber die politischen anliegen seiner partei gestellt. Ist es denn wirklich zu seltsam und abstrus, wenn man in Deutschland extrem vorsichtig gegenueber anti-Semitischen spruechen auftritt? Ist es denn wirklich so abartig, dass ein deutscher politiker, der diese methoden benutzt, aus der politik gedraengt wird? Nicht, dass solche methoden andernorts legitim waeren, aber gerade in Deutschland sollte die sensitivitaet dafuer unendlich hoch sein; hierin, dagegen nicht rechtzeitig angegangen zu sein, liegt auch das versagen Westerwelles. Manchmal liegt im nicht-erkennen leider auch ein nicht-erkennen-wollen; jedoch gerade wir Deutschen, obwohl die nachkriegsgenerationen keine schuld mehr trifft, haben aus unserer historischen erfahrung eine ganz besondere verantwortung, und daraus sollte auch eine ganz besondere sorge um die sicherheit des staates Israel resultieren, die sich nicht nur auf militaerische sondern auch auf argumentative sicherheit und uneingeschraenkte akzeptanz stuetzt. Berechtigte kritik in einzelfragen ja, aber generelle kritik und grobschlaechtige ahistorische spruecheklopferei darf nicht sein. Insofern ist die reaktion auf Möllemann im gegenteil zu milde und zu zoegernd ausgefallen. Darueber hinaus, und alles darueber hinaus muss sich leider wie eine banalitaet anhoeren, hat sich Möllemann bei der finanzierung eben jenes flugblatts mit dem parteiengesetz in konflikt gebracht, und auch wenn das mittlerweile tradition zu haben scheint und auch ehemalige kanzler davor nicht gefeit waren, ist dies kein kavaliersdelikt, im gegenteil: die verletzung des parteiengesetzes zeugt von einem extrem gestoerten verhaeltnis zur demokratie und ihren spielregeln. Das ist mit dem selbst-zentrierten, narzisstischen charakter Möllemanns sicher recht gut zu erklaeren, aber doch wohl kaum zu entschuldigen. Und auch ueber jenes hinaus gibt es untersuchungen zu dubiosen finanzgeschaeften Möllemanns; es mag kein zufall sein, dass sein selbstmord parallel zu einer gross angelegten untersuchungsaktion stattgefunden hat. Wovor hatte er angst? Was waere denn noch zu all seinen bereits bekannten verfehlungen, vergehen und verbrechen hinzugekommen? Mitleid mit der familie, ja, ganz bestimmt. Schock und trauer ueber seinen tod, unbedingt. Vergebung, nicht nur als christliche sondern auch menschliche pflicht, ja, auch dies unbedingt. Aber verklaerung seiner person, vergessen, abmindern, entschuldigen? Ganz gewiss nicht. Mit dem tod endet nicht die verantwortung, und schon gar nicht die geschichte.
Der narzißtische Mensch gewinnt sein Identitätsgefühl durch Aufblähung. Die Außenwelt ist für ihn kein Problem, sie überwältigt ihn nicht mit ihrer Macht, weil es ihm gelungen ist, selbst die Welt zu sein, indem er das Gefühl gewonnen hat, allwissend und allmächtig zu sein. Wenn sein Narzißmus verwundet wird und wenn er es sich aus gewissen Gründen, wie zum Beispiel aufgrund der subjektiven oder objektiven Schwäche seiner Position gegenüber seinem Kritiker, einen Wutausbruch nicht leisten kann, wird er depressiv. Er hat keine Beziehung mehr zur Welt und ist nicht an ihr interessiert; er ist nichts und niemand, da er sein Selbst nicht als Mittelpunkt seiner Bezogenheit zur Welt entwickelt hat. Wird sein Narzißmus so schwer vewundet, daß er ihn nicht länger aufrechterhalten kann, so bricht sein Ich zusammen, und seine subjektive Reaktion auf diesen Zusammenbruch ist das Gefühl der Depression.
- Erich Fromm. Die Seele des Menschen. Ihre Fähigkeit zum Guten und zum Bösen.
München: dtv, 82001. [The Heart of Man. Its Genius for Good and Evil, 1964]
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