versuche ueber politik

# 5 :   Kopftuch oder nicht Kopftuch

Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache,
seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen
benachteiligt oder bevorzugt werden.

- Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, Artikel 3 Absatz 3

Vergangene woche erging das urteil, eine islamische lehrerin duerfe in Baden-Württemberg nicht an der schule unterrichten, wenn sie dabei ihr kopftuch trage. Als generalkonflikt wird bei diesem thema stets verwiesen auf die angebliche konfessionelle neutralitaet des staates, und die faktische trennung von kirche und staat. Hoert sich zunaechst eingaengig an, ist es aber nicht.

In Deutschland gibt es keine wirkliche trennung von kirche und staat. Die kirchen duerfen an den schulen religionsunterricht geben, anders als in anderen staaten. Und solange sich keiner beschwert, haengen im zweifelsfall in bestimmten gebieten kruzifixe an der wand. Doch dies sind nur aeussere aergernisse, der konflikt geht noch tiefer.

Wie der groesste teil Europas, ist auch Deutschland noch immer im grossen und ganzen Christlich gepraegt. Das denkschema der dominierenden kultur ist mehr oder weniger Christlich, und auch der hiesige laizismus hat groesstenteils Christliche urspruenge und facetten. Egal welchen anschein der staat zu erwecken versucht, eine echte trennung zwischen kirche und staat ist noch immer eher wunsch als realitaet. Sie ist aber bitter noetig fuer ein demokratisches gemeinwesen, demokratie heisst schliesslich die herrschaft des volkes, und somit auch, hoffentlich, der respekt vor der individuellen entscheidung eines jeden individuellen mitglieds dieses volkes. Demokratie kann nicht bedeuten, die lobbyarbeit zu leisten fuer einen teil der bevoelkerung, der mehrheit oder einflussreiche minderheit ist.

Selbstverstaendlich muss sich auch hierbei die frage stellen, inwiefern laizismus und saekularitaet nicht auch bekenntnisse sein koennen, ob nicht auch hierbei eine position vertreten wird, der die respektive religion dann doch auch gleichwertig gegenueber gestellt sein sollte. Sicherlich, auch der laizismus ist eine position, auch die abwesenheit organisierter religion kann religion sein. Wir koennen also nicht von staatsverordnetem laizismus sprechen, sondern eher von einer art blankvorlage, einer mehr oder weniger neutralen (d.h. weder-noch) position, die es sich aber explizit zur aufgabe macht, alle konflingierenden bekenntnisse keinesfalls zu behindern, sondern eher in ihrer freiheit und freien ausuebung zu unterstuetzen. Vergessen wir nicht, es gibt mehrere bekenntnisse auch in einem kleinen land wie Deutschland. Katholizismus und verschiedene varianten des Protestantismus moegen uns als die praegendsten richtungen erscheinen, allerdings sind Judentum und Islam genauso "normale" bestandteile des religioesen spektrums, dazu kommen natuerlich auch verschiedene formen des Buddhismus und andere religionen, sowie die absichtliche absetzung von organisierten formen, gewoehnlich bewusst oder unbewusst faelschlich als Atheismus bezeichnet. Eine trennung zwischen kirche und staat heisst daher die einnahme einer vermittlerrolle, die zwischen allen diesen positionen vermittelt und unterschiede und gemeinsamkeiten respektiert, so lange sie sich im rahmen des grundgesetzes und der menschenrechtskonvention bewegen.

Dazu gehoert allerdings auch zu erkennen, dass vermeintlich neutrale positionen nicht wirklich neutral sind. Unsere kleidungsformen, zum beispiel, sind nicht unbedingt eine universelle norm, sie erwachsen in gewisser weise einigen elementen der dominanten Christlichen kultur. Kleidungsvorschriften gibt es nicht. Dieses nicht-existieren von regeln kann auch eine regel in sich selbst sein, die dann aber nicht neutral, sondern ebenso markiert ist wie die regel als solche. Man kann natuerlich, um endlich dazu zu kommen ueber das kopftuch zu sprechen, die gleichheit von mann und frau als ideal ansehen, welchem ich mich durchaus anschliesse. Das kopftuch darf, im demokratischen kontext, niemals zwang sein. Keine frau darf gezwungen werden, es zu tragen, aus welchem grund auch immer. Was aber, wenn die frau es selbst will, angenommen, freier wille ist in gewissen grenzen moeglich? Darf man ihr dann ihren willen verwehren, nur, um sie nicht als frau diskriminieren zu wollen? Darf man sie wegen ihrer religioesen ueberzeugung diskriminieren, um einer anderen diskriminierung vorzubeugen? Ist das nicht in sich schizophren?

Es darf keinen zwang zur ausuebung religioeser formen geben, genauso wie es keinen zwang zur nichtausuebung geben darf. Beides wuerde die wuerde des menschen missachten, was bekanntlich unserem grundgesetz zuwiderlaufen wuerde.

Nehmen wir nun an, eine muslimische frau mit kopftuch arbeitete im dienste des staates, als lehrerin oder staatsanwaeltin, sollte ihr das kopftuch gestattet sein? Sind wir wirklich unser selbst so unsicher, haben wir wirklich soviel angst vor dem anderen, dass wir glauben muessten, nur weil eine authoritaet im auftrag des staates ihre religionsangehoerigkeit zeigt statt sie zu verstecken, waere die trennung von staat und religion im abstrakten sinne aufgehoben? Eine lehrerin hat natuerlich staatliche auctoritas, ein staatliches mandat. Sie ist aber auch ein mensch. Beides kann getrennt gesehen werden, und solange sie nicht ihren staatlichen vertretungsauftrag fuer missionierungszwecke missbraucht, ist die trennung in kraft. Das gilt auch fuer Christliche lehrer, auch sie duerfen nicht missionieren, allerdings sieht man ihnen nicht ihre religion an, weil die abwesenheit von zeichen in diesem fall das dominante zeichen ist. Warum protestiert man gegen das abnehmen von kruzifixen an der wand eher als gegen das abnehmen von kopftuechern, und versteckt sich dabei dennoch hinter angeblich politischen ideen?



8. Juli / 12. Dezember 2002